Pfändungsschutz nach § 850i ZPO

Pfändungsschutz für Selbständige: Der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte nach § 850i ZPO erfasst alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte.

Tenor: Die Vergütungsansprüche für selbständige Tätigkeiten, seien sie selbst oder durch Personal erwirtschaftet, können auf Antrag des Schuldners für unpfändbar erklärt werden. Nichts anderes gilt aber nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch für alle sonstigen Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, aber dem Schuldner und seiner Familie zum Lebensunterhalt dienen. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich ausgeführt, dass sämtliche Einkünfte nicht abhängig beschäftigter Personen erfasst werden sollen. Alle Einkunftsarten sollen gleich behandelt werden (BT-Drucks. 16/7615 S. 14, 18). Der Schuldner soll motiviert werden, Einkünfte selber zu erzielen und dadurch die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Dies gilt für sämtliche Einkunftsarten.(BGH · Beschluss vom 26. Juni 2014 · Az. IX ZB 88/13 – § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO).

Insbesondere ist die Entscheidung des BGH vom 26. Juni 2014 für Einkünfte von Selbständigen, Ärzten, Zahnärzte sowie Freiberuflern von Bedeutung. Die bisherige Praxis, den betroffenen Selbständigen, Ärzten bzw. Zahnärzten den sozialhilferechtlichen Bedarf, das Existenzminimum gem. § 850f Abs. 1 ZPO zu belassen, bedarf einer neuen Betrachtung.

Gibt es endlich Licht am Tunnel?

Wenn Selbständige in Zahlungsschwierigkeiten geraten, kann es zu Pfändungen gegenüber Kunden und Auftraggebern kommen.

In der bisherigen Praxis und Rechtsprechung wurden die Klassifizierung der Einkünfte von Selbständigen, die Zuständigkeiten der Gerichte und insbesondere der Umfang der unpfändbar zu stellenden Beträge kontrovers diskutiert.

Klassifizierung der Einkünfte

Klarzustellen ist nach Auffassung des Verfassers, dass es auf die Art der Einkünfte seit dem 01.07.2014 nicht mehr ankommt.

„Alle Einkunftsarten sollen gleich behandelt werden (BT-Drucks. 16/7615 S. 14, 18). Der Schuldner soll motiviert werden, Einkünfte selber zu erzielen und dadurch die eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Dies gilt für sämtliche Einkunftsarten“. (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – IX ZB 88/13)

Umfang der unpfändbar zu stellenden Beträge

In der bisherigen Praxis und Rechtsprechung wurde den betroffenen Ärzten und Zahnärzten weitgehend nur der sozialhilferechtliche Bedarf (seit 2002 auf Grundlage des SGB II) sowie die erforderlichen Betriebskosten gem. 850f Abs. 1 ZPO als unpfändbar belassen oder Schutzanträge mit Verweis auf möglich Einkünfte aus „Privatliquidation“ gänzlich zurückgewiesen.

Diese Praxis und Rechtsprechung kann nach Auffassung der Verfassers mit der Neuregelung des § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr standhalten:

„Denn auch für das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis muss gelten, dass der Staat grundsätzlich nicht Zwangsmaßnahmen zur Verfügung stellen darf, um einem Einzelnen den Teil des Einkommens zu entziehen, der zur Sicherung des Existenzminimums erforderlich ist (BT-Drucks. 16/7615 S. 12; Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn. 872). Über das Existenzminimum hinaus ist für den erwerbstätigen Schuldner zudem anerkannt, dass ihm in der Vollstreckung mehr als das Existenzminimum verbleiben muss, damit er sich weiter um Arbeit bemüht (Lohnabstandsgebot; vgl. Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530; Ahrens, ZInsO 2010, 2357)“. (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – IX ZB 88/13)

Die Beschränkung des unpfändbaren Betrags auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum, wie es in der bisherigen Praxis und Rechtsprechung üblich war, wurde mit der Neuregelung des § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO durch den Gesetzgeber nach Auffassung des Verfassers verworfen. Alle Einkünfte sind gleichzustellen. Ein selbständig tätiger darf nicht schlechter gestellt werden, als ein abhängig beschäftigter:

„Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die hier vorgenommene Auslegung hat der Senat nicht. Zwar wird der Pfändungsschutz durch die Neuregelung des § 850i ZPO ausgeweitet und der Anspruch der Gläubiger auf eine wirkungsvolle Zwangsvollstreckung berührt (Art. 14 Abs. 1 GG). Doch findet dies seine Rechtfertigung in der Aufhebung der Ungleichbehandlung der Einkunftsarten und in dem verfassungsrechtlich gebotenen gleichmäßigen Schutz existentieller Lebensgrundlagen (Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG). Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, dass allein das Arbeitseinkommen vor der Kahlpfändung geschützt wird und Selbständige gegebenenfalls im Alter auf Transferleistungen angewiesen sind (vgl. Ahrens, ZInsO 2010, 2357; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530 f)“. (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – IX ZB 88/13)

Berechnung des pfändbaren Betrages

Als Bemessungsgröße für die Berechnung des pfändbaren Betrags muss nach Auffassung des Verfassers das tatsächlich erwirtschaftete Nettoeinkommen herangezogen werden.

Dazu sind von den gesamten Praxiseinnahmen die erforderlichen Betriebskosten gem. § 850f Abs. 1 ZPO (analog § 850a Abs. 3 ZPO), ferner die zu leistenden Steuern sowie die Pflichtbeiträge für die Kranken- und Rentenkassen bzw. die Pflichtbeitrage für die Versorgungswerke gem. § 850e Abs. 1 ZPO abzuziehen.

Ausgehend von diesem Nettoeinkommen ist der nach § 850c ZPO unter Berücksichtigung der gesetzlichen Unterhaltspflichten pfändbare Betrag zu ermitteln.

Zu betrachten ist hierbei ein angemessener Zeitraum von 6 bis 12 Monaten, da die Ermittlung der Einkünfte von Selbständigen rein abrechnungstechnisch nicht auf einen Monat abzustellen ist.
Die betroffenen Selbständigen haben dazu eine schlüssige Berechnung mit allen erforderlichen Nachweisen vorzulegen:

  • Berechnung des Nettoeinkommens
  • Einnahmen-Überschuss-Rechnung
  • Einkommensteuerbescheide
  • Beitragsnachweise
  • Gesetzliche Unterhaltspflichten u.a.

Zuständigkeit der Gerichte

Zunächst bedarf es der Feststellung, auf welcher rechtlichen Grundlage die Vergütungen eines Selbständigen gepfändet werden:

Der gerichtliche Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
• Die Zuständigkeit liegt bei den Vollstreckungsgerichten

Der öffentlich-rechtlicher Einziehungs- und Überweisungsbeschluss
• Die Zuständigkeit liegt im ersten Zug bei denVollstreckungsbehörden

Die offengelegte einer Forderungsabtretung (Zession)
• Die Zuständigkeit liegt bei den Prozessgerichten bzw. den Sozialgerichten

Der Insolvenzbeschlag (§§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 InsO)
• Die Zuständigkeit liegt beim Insolvenzgericht

Zusammenfassend

Der Pfändungsschutz für Selbständige bedarf nach Auffassung des Verfassers einer weitgehend neuen rechtlichen Betrachtung: Die bisherige und immer wieder zitierte Rechtsprechung, die den betroffenen Ärzten und Zahnärzten zwar die erforderlichen Praxisausgaben gem. § 850f Abs. 1 ZPO zustand, das persönlich zu belassene Einkommen, der Selbstbehalt, jedoch auf den sozialhilferechtlichen Bedarf beschränkte, steht nicht mehr im Einklag mit dem 2010 neugefassten § 850i ZPO.

Von der Pfändung bedrohte oder betroffene Selbständige sollten sich in jedem Fall rechtlichen Rat einholen.

Johannes von Sengbusch

Bundesverband Selbständige
in der Offensive – sido! e.V.